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Um 9:41 Uhr öffnet sich die Brücke, die uns auf den bislang längsten Segelschlag entlässt. Mit einer Reihe weiterer Yachten geht es in Calais direkt neben dem riesigen Hafenbecken der Englandfähren raus ins Fahrwasser. Dieses ist mehr als kabbelig. Der  Strom wird für ein paar Stunden gegen den vorherrschenden Wind stehen und verursacht diese konfuse See. Entgegen meiner Gewohnheit fahren wir ein gutes Stück unter Motor, damit wir besser voran kommen. 

Cap Gris-Nez querab. Die Rinne zwischen Land und Verkehrstrennungsgebiet ist an dieser Stelle nur 2 Seemeilen breit. Der Wind kommt von hinten und zeitweise werden Großsegel und Genua aus gebaumt und stark fixiert, damit sie nicht ständig schlagen. Dazu immer höher werdende Wellen, die zudem aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Das macht es nicht so richtig angenehm. Aber als uns wenig später eine Yacht entgegen kommt, denke ich, dass ich trotzdem nicht tauschen möchte. Die liegen derart auf der Seite, dass das eher noch mehr Unbehagen bereiten dürfte.

Irgendwann kentert der Strom – so nennt man es, wenn das Wasser plötzlich in die entgegengesetzte Richtung fließt. Wir sind dann mit über 8kn Geschwindigkeit unterwegs. Was den Komfort allerdings nicht sonderlich erhöht. Die Bewegungen unter und auf Deck sind nichts für Menschen mit schwachem Magen. 

Die Windfahne verrichtet ihre Arbeit auch bei diesen Bedingungen zu meiner Zufriedenheit. Heute bin ich dran mit Kochen und ich hatte angekündigt, Pfannkuchen zu machen – das sollte kein gutes Ende nehmen…

Zuerst – war ich noch an Deck – beobachte ein paar recht hohe Wellen und schätze die erste auf etwa 3 Meter. Diese hebt uns sanft an und lässt uns ins nächste Tal gleiten. Aber da wartet schon die nächste Welle, die noch ein wenig höher sie klatscht mit Getöse gegen unseren Rumpf und ergießt sich ins Cockpit. Detlef bekommt den Großteil ab und ist Pudelnass. Außerdem ist meine schöne Skipper-Mug noch nach unten befördert worden und zerschellt. Doch das war erst der Anfang. Ich habe das Gefühl, dass Murphy mal kurz vorbei geschaut hat…

Wir hatten zwischenzeitlich die Segelstellung etwas verändert. Dafür war ich zum Bug gegangen und hatte eine Sicherungsleine für den Großbaum weg genommen und an der mittleren Klampe befestigt. Da habe ich mir blöderweise nicht viel bei gedacht – aber dazu später mehr. Unter Deck begann das fröhliche Spiel: Was bewegt sich zuerst. Für den Pfannkuchen wurden die Zutaten in Schälchen verteilt und der Teig in einer großen Schüssel zubereitet. Mir schwante da schon, dass das wohl nicht gut gehen kann. Der erste Kuchen war in der Pfanne, die Schüsseln waren alle auf rutschfestem Untergrund und doch gab es wieder eine dieser fiesen Wellen, die einem das Leben schwer machen. Die Schüssel mit dem Teig kippte um . zwar konnte ich einen großen Teil retten aber die Sauerei in der Kombüse war perfekt. Ich habe Stunden gebraucht, alles wieder klar zu bekommen. Doch schon ging es weiter mit dem Unheil. Wir kümmerten uns um die Windfahne und wollten diese fixieren, damit wir per Hand weiter steuern konnten. Dabei war kurzzeitig keiner von uns am Steuer und es passierte, was nicht passieren darf: Eine Patenthalse – zumindest fast. Ich hatte die Sicherungsleine ja fixiert und die hielt den Großbaum fest. Allerdings auf Kosten einer jetzt verbogenen Relingstütze, herausgerissener Bootshaut im Bereich der Stütze und einer auf etwa 50cm Länge zerstörten Holz-Fußreling…

So sehr über mich selbst geärgert habe ich mich schon lange nicht mehr. Das waren vermeidbare Fehler und die dürfen auch nicht mehr vorkommen. Der Schreck ist uns beiden mächtig in die Glieder gefahren. Trotzdem muss es ja weiter gehen, können wir nicht mitten im englischen Kanal den Kopf in den Sand stecken. Wir gehen jeder etwa 3 Stunden-Wachen und so ist die Nacht dann bald ohne weitere Vorkommnisse um – außer dass uns ein fast voller Mond den Weg beleuchtet.

Der Wind lässt zum Glück etwas nach und die See wird ein wenig ruhiger. Die Sonne geht auf und erhellt die Gemüter bald wieder. Und der Skipper weiht dann auch noch die neue Bord-Außen-Dusche ein…

Doch auch dieser Tag hält noch eine kleine Überraschung für uns bereit. Als die Normandie schon in Sichtweite ist, wollen wir das Großsegel bergen und nur mit der Genua segeln. Die Strömung setzt stark in unsere Richtung und nimmt dem Wind damit einiges an Kraft. Das führt wieder zu schlagenden Segeln. Doch beim Blick nach oben ist klar, dass wir das Segel nicht einfach bergen können. Eine Segellatte – die der Stabilisierung des Segels dient – hat sich durch das viele Schlagen herausgearbeitet und hängt nun oberhalb der Saling fest. Detlef und ich bekommen aber auch das noch hin. Er zieht mich mit dem sogenannten Bootsmannsstuhl in den Mast und ich bekomme die Latte heraus. Jetzt ist es langsam genug mit den Überraschungen. Der Motor wird gestartet und es geht die letzten Meilen mit Getöse bis zum Hafen. 

Zur Begrüßung ziehen 2 Delphine direkt am Boot vorbei ihre Bahnen und dann legen wir nach ziemlich genau 30 Stunden und 176sm in einer Box am Steiger P in Cherbourg an. Ziemlich müde aber zufrieden mit dem bis hierhin schon erreichten. In den nächsten Tagen können wir es deutlich entspannter angehen und Morgen wird NICHT gesegelt 🙂

Dieser Beitrag hat 13 Kommentare

  1. Axel W.

    Mit Spannung und Gänsehaut den heutigen Bericht gelesen – hoffentlich lässt sich der Schaden gut beheben. Aus Fehlern lernt man damit sie nicht wieder passieren. Dann morgen einen erholsamen Ruhetag und weiterhin gutes Segeln.

    Gruß

    Axel W.

    1. thomsail

      Ja, das sollte mal so sein, dass man aus diesen Fehlern lernt.
      Den Ruhetag brauchen wir jetzt wirklich.

  2. Markus

    Moin Ihr beiden, ein toller Bericht, vielen Dank dafür. Den Schaden betrachte ich mit Sorge. Ich hoffe das lässt sich alles wieder gut reparieren. Weiter so und gute Erholung!!

    1. thomsail

      Moin Markus, ich habe heute schon einen Teil davon versucht zu beheben…

  3. Gaby Klasen

    Ruhepause klingt nach einem guten Plan. Deine Etappen waren lang die letzten Tage. Die Häfen, die die angesteuert hast waren auch sicher wunderbar. Mich hat gewundert, dass du so weit von der Küste gut ankern konntest. Haben keine vernünftige Tiefenkarte gefunden.
    Gute Erholung!
    Dein Schwesterlein

    1. thomsail

      Gaby, wir haben immer ca. 500m Ankerkette dabei, da ist es egal, wie tief das Wasser ist.

  4. Klaus L. aus RS

    Na dann gute Erholung

    Klaus

  5. Barbara/Peter

    Lieber Thomas, ab heute verfolgen wir Dich. Barbara hat beim Lesen des gestrigen Tagen Gänsehaut und Angst um Dich bekommen. Mach so etwas nicht zu oft. Sie schläft sonst schlecht. Wünschen Dir und Deiner Begleitung tolle Segeltage ohne Murphy. Liebe Grüße. Barbara u. Peter

  6. Bernie

    Hallo Schwager,
    super Blog. Seit Montag ist marinetraffic und vesselfinder mein ständiger Begleiter😀.
    Dokumentiere deine Tour jeden Tag mit Screenshots über marinetraffic, während mich deine Schwester mit Themen wie Kohlehydrat freie Ernährung, Ukraine und irgendwas mit China versucht vollzulabbern.😂😂. Ich hoffe mal, dass dich der Schaden an deinem Schiff nicht an deiner Weiterreise hindern wird.
    Habt ihr auch ein wenig Zeit euch mal in den Häfen und Städten in Ruhe umzuschauen und Sightseeing zu machen ?
    Wünsch euch noch schöne Törns, wir folgen euch im Internet.
    Liebe Grüße
    Bernie

    1. thomsail

      Danke Dir Bernd! Der Schaden hindert nicht an der Weiterreise.
      Es freut mich dass Dir der Blog gefällt. Alles Gute, wir sehen uns.

  7. Marianne Kargol

    Alles Gute zum Geburtstag

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