Um drei Uhr klingeln auf dem Schiff drei Wecker gleichzeitig aber so richtig will das Leben noch nicht wieder starten. Cam macht einen Kaffee, so haben wir wenigstens noch etwas warmes im Bauch. Es ist stockduster als wir den Motor starten. Es dauert etwas, bis er sich dazu entschließt, anzuspringen. Es scheint, dass eine der vielen Schrauben, die der Mechaniker gelöst hatte nicht ganz dicht auf ihrem Platz sitzt und wieder Luft ins System gelangt ist. Aber er springt an und mit großer Vorsicht tuckern wir aus dem sicheren Hafen heraus. Der Wind scheint schwächer als von Windy prognostiziert. Das kann aber auch daran liegen, dass wir schlicht viel zu viel Abdeckung um uns herum haben. Das Großsegel hatte ich vorsorglich ins dritte Reff gelegt und darunter auch das zweite schon eingebunden. Auf diese Weise kann ich bei schwächerem Wind direkt reagieren und ganz schnell mehr Segelfläche erzeugen.
Mit schwacher Motorunterstützung bewegen wir uns auf die erste Marke zu, einer Tonne mit roter Beleuchtung. Jetzt können wir den Motor verstummen lassen und uns aufs Segeln konzentrieren. Tatsächlich steht der Wind heute den ganzen Tag über durch. Genau so, wie ´Windy´ es prophezeit hatte. Wir sind im englischen Kanal unterwegs. Das bedeutet, dass wir – anders als auf dem Atlantik – mit den vorhandenen Gezeitenströmungen umgehen müssen. Das ist auch ein Grund für die frühe Abfahrtszeit von 3:30 Uhr. Der Strom ´kentert´ vor Roscoff und läuft ab jetzt mehr oder weniger in die Richtung, die wir einschlagen, um nach Cherbourg zu gelangen. Es ergibt sich sogar das ungeheure Glück, dass wir insgesamt mehr als 9 Stunden von mitlaufendem Strom profitieren können. Auf diese Weise schaffen wir in 10 Stunden knapp 70 Seemeilen. Ein sehr guter Wert. Insgesamt müssen wir heute 120sm zurücklegen. Das wollen wir auf möglichst direktem Weg tun.
Natürlich geht es mit dem Strom dann auch in die Gegenrichtung und das ist im Bereich der Kanalinseln Guernsey und Alderney mit erheblichen Geschwindigkeiten verbunden. Es gibt hier Bereiche, in denen man – je nach Stand des Mondes – mit bis zu 10 Knoten Strömung rechnen muss. Dagegen kommt man nicht mehr an und sollte es passieren, dass man vom Strom weggezogen wird, sollte man sich schnell ein neues Reiseziel aussuchen.
Da der Vollmond vor zwei Tagen war, können wir zwischen Alderney und der Normandie mit eben diesen maximalen Stromgeschwindigkeiten rechnen. Es gibt richtige Stromschnellen und heftige Strömungswirbel. Die sind in der Lage, eine 15m-Yacht in drei Sekunden um die eigene Achse zu drehen. Davor wird auch in den Seekarten eindringlich gewarnt. Ich halte das Risiko, hier zu segeln für vertretbar und außerdem beschert uns das ein atemberaubendes Vorwärtskommen, wenn wir zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind. So wie es aussieht sollte genau das auch auf unsere Reise nach Cherbourg zutreffen. Wir sind vielleicht eine Stunde zu spät, um den maximalen Strom mitzubekommen aber es sollte schon ziemlich zur Sache gehen gleich.
Wir bewegen uns an diversen Stromwirbeln vorbei mit immer größerer Bootsgeschwindigkeit (über Grund). Wobei unsere Geschwindigkeit durch das Medium Wasser wegen des nun schwächer wahrnehmbaren Westwindes nur etwa 3 bis 4 Knoten beträgt. Was dann aber auf dem Display ablesbar ist, kann einem die Sprache verschlagen.
Die beinahe schlimmste Phase des Törns sollte jetzt aber erst vor uns liegen. Das Problem bei der Bewegung solch unvorstellbar großer Wassermassen ist dann gegeben, wenn sich nun auch die nach Osten setzende Strömung im Kanal mit der nach Norden setzenden Strömung – in der wir uns ja gerade noch befinden – vereinigt. Das Wasser um uns herumt scheint förmlich zu kochen. Kreuzseen entstehen. Wie wild wird Petoya Too nun in den tobenden Fluten hin und her geworfen. Es gibt furchtbare Schläge im Rigg, wenn das Boot nach vorne in ein Wellental stürzt und sich direkt danach wieder nach oben bewegt. Dies ist der Nachteil der Passage, die wir genommen haben. Aber um diesen Bedingungen zu entgehen, hätten wir sicher 5 Seemeilen nördlicher fahren müssen. Es dauert fast eine Stunde, in der wir durchgeschüttelt werden als gäbe es kein Morgen mehr. Dann, in der Landabdeckung des Festlandes ist der Spuk urplötzlich vorbei. Wow, das war heftig und sehr anstrengend. Ich habe der Hydrovane die Arbeit abgenommen und steuere seit drei Stunden am Stück. Immer noch haben wir kräftigen Strom, der uns mit Tempo in Richtung Cherbourg setzt. Unsere Ankunft wird dort etwa um halb zwei in der Nacht zu Donnerstag sein. Ich hatte am Vortag noch versucht einen Platz zu reservieren. Mir wurde gesagt, dass wir an den Pontons P oder Q eine freie Box nehmen können. Je näher wir dem Ziel kommen, um so mehr beruhigen sich Wind und Wellen. So segeln wir durch den äußeren Wall, der den riesigen Hafen vor anrollenden Seen schützen soll. Nun kommt der spannende Moment, an dem wir hoffen, dass der Motor anspringt. Das Vorsegel wird eingerollt, als wir noch 1 Seemeile von der Marina entfernt sind. Dann orgele ich relativ lange und der Jockel springt etwas widerwillig an. Naja, Hauptsache, er läuft. Doch ein paar Minuten später nehme ich einen strengen Dieselgeruch wahr. Ich öffne die Tür zum Motorraum und stelle fest, dass der Dichtring, den der nette Monteur aus Roscoff unter eine der Entlüftungsschrauben gelegt hat, eben doch nicht so dicht ist. Der Diesel sprotzt fröhlich an der Schraube vorbei in den Motorraum. Das sind so Dinge, die ich brauche. Es geht kaum etwas ohne eine mittlere Katastrophe – so scheint es mir in manchen Momenten. Ich versuche ein Tuch auf die Schraube zu drücken. Immerhin läuft der Motor ja und wir schaffen es auch anzulegen. Es gibt eine freie Box in der wir um Punkt 1:30 Uhr festmachen. Es ist geschafft. Auch diese nun abgeänderte Etappe haben wir bewältigt. Klasse, dass die Crew zu einem Team geworden ist und wir uns aufeinander immer verlassen konnten.
Danke Andrea und Cam, dass ihr mir vertraut habt und dass wir die Reise gemeinsam zu einem guten Etappenende gebracht haben.
Wir feiern unsere Ankunft in der Marina Chantereyne in Cherbourg noch bis 3 Uhr und fallen danach in einen komatösen Schlaf.
Hallo Thomas.
Wenn auch mit etwas ungutem gefühl
wegen des Motors, hauptsache angekommen.
Toll! Habe gerade gesehen ,das ich Andrea kenne.
Liebe Grüße von uns.
Alles Gute für den Rest des Abendteus.
Ruth und Klaus
Geschafft, geschafft!
Herzlichen Glückwunsch Euch dreien. Das muss ja zwischendurch ein ziemlich starker speed gewesen sein. Auch wenn mir die Segelbegriffe nicht so viel sagen, konnte ich deiner Sprache ganz viel abgewinnen und einen lebendigen Eindruck bekommen von den unglaublichen Abenteuern auf See.
Wenn ich diese Zitterpartien hier so mitlesen, denke ich manchmal: hätte ich doch nein gesagt, bei der Frage nach dem sabbatical….. allein aus Fürsorgepflicht.
Ich bin sehr froh, dass ihr all den Widrigkeiten zum Trotz doch gut angekommen seid.
Wobei zum Aufatmen ist es noch etwas zu früh, oder? Es geht doch noch nach NL weiter, oder?
Seid schön vorsichtig und komm heil zurück!
Super Leute. Geld für die Achterbahn gespart. Wir schaukelt hier ja mit. Die Zahnbürste würden wir reinigen bevor sie wieder ihrem eigentlichen Zweck zugeführt wird. Wir hoffen, daß Ihr nun das Schlimmste geschafft habt, den Motor noch dicht bekommt und dann auf die Zielgerade einbiegt.
Wir machen weiterhin sportlich mit (Daumen drücken).
Die Abenteuer des Jules Vernes sind nichts dagegen. Herzlichen Glückwunsch.