Wer glaubt, er habe schon alles erlebt und es kann ihn nichts mehr schocken, der irrt.
Zunächst läuft alles wie immer. Wir gehen unsere Wachen, der Wind weht mit großer Konstanz, die Wellen sind konfus, am Morgen ist das Cockpit nass, weil es geregnet hat oder schlicht die Luftfeuchtigkeit zu hoch ist. Anders ist aber heute in der Frühe, dass es so schnell noch keinen Kaffee und kein Müsli gibt.
Langsam nähern wir uns dem Verkehrstrennungsgebiet, das die Berufsschifffahrt aus dem englischen Kanal in den Atlantik oder in umgekehrte Richtung befahren muss, damit alles in geordneten Bahnen verläuft. Allerdings müssen wir nun diese Hauptschifffahrtsroute queren , um in den Bereich der Küstenverkehrszone zu gelangen. Soweit so gut. Wir sehen auf dem AIS, was sich hier alles tummelt. Wie an der Schnur gezogen kommen zunächst die Schiffe aus dem Kanal und just, als wir uns ins Getümmel stürzen, flaut der Westwind so weit ab, dass wir – auch in Folge der Strömung, die in Richtung Osten setzt schlicht manövrierunfähig sind. Nun treiben wir ohne Motor mit knallenden Segeln, schaukelnd übers Meer. Was für ein Alptraum.
Mir ist bewusst, dass wir ein großes Hindernis darstellen und ich überlege fieberhaft, welche Optionen noch übrig bleiben. Zunächst funke ich ein Schiff an, mit dem Kollisionsgefahr besteht. Er gibt mir zu verstehen, dass er an unserem Heck vorbeifahren wird. Dahinter ist es fürs erste ruhiger und ein leiser Luftzug lässt uns aus der Linie die die meisten Schiffe jetzt nehmen, herausgleiten. Das war so nicht angekündigt. Dass der Wind jetzt weg ist macht mich nervös. Es flaut erneut ab und wir nähern uns der Seite, wo von See aus die Schiffe zum Kanal fahren.
Das Dinghy
Letzter Trumpf ist unser Beiboot. Cam und ich wuchten es aufs Vordeck und bauen es zusammen. Das könnte funktionieren. Schon vor ein paar Jahren hatte ich auf der Nordsee ganz aus Spaß bei totaler Flaute das Dinghy zu Wasser gelassen und versucht, die 7 Tonnen schwere Petoya Too zu schieben. Der Motor hat zwar nur 2,5 PS aber ich schaffte es, die Segelyacht auf etwa 3kn Fahrt zu beschleunigen.
Das also ist der letzte Pfeil im Köcher. Jetzt liegen die Karten auf dem Tisch.
Zur Sicherheit greife ich zum ersten mal zu einem Mittel, das eher selten verwendet wird und von dem ich glaubte, dass ich es nicht anwenden müsste. Welche Art von Meldung es ist oder sein müsste, darüber können sich wegen mir die Geister scheiden. Eine Sicherheitsmeldung wäre es vermutlich, weil ich ein Hindernis darstelle, das die sichere Durchfahrt der Berufsschiffe behindert. Aber es ist für mich eine ‚Urgency‘-Meldung, weil ich mich als z.Zt. manövrierfähig ansehen, wenngleich ich keine Hilfe anfordere (was ich in einem solchen Fall hätte tun können). Wie auch immer. Ich möchte natürlich die Schifffahrt warnen – vor mir – und setze den Spruch ab. Wie von Zauberhand weichen alle Schiffe auf einmal aus und fahren in gehörigem Abstand an mir vorbei.
Wieder kommt ein schwacher Hauch Wind, der jetzt ein wenig stabiler erscheint und uns zumindest wieder in die Lage versetzt, aktiv ins Geschehen einzugreifen. Das Dinghy kommt nicht zum Einsatz aber wir brauchen etwa 3 Stunden, bis wir aus dem Bereich des Verkehrstrennungsgebietes heraus sind. Wir müssen es regelkonform umfahren, weil sonst empfindliche Geldstrafen drohen. Dabei setzt gerade die Strömung in Richtung Osten und könnte uns so schön mitziehen. So aber kämpfen wir uns mühselig am Rand des Gebietes nach Südosten.
Mittlerweile ist es 11 Uhr und wir haben immer noch nichts zu Essen gehabt. Ich habe das Gefühl dass ich in den letzten 3 Stunden um 100 Jahre gealtert bin. Als wir endlich auf die Zielgerade abbiegen können, machtbsich Erleichterung breit. Auch der Wind ist jetzt wieder zu einem vernünftigen Werkzeug geworden.
Plötzlich kommt Land in Sicht. Die Insel Île D’Ouessant kommt in unser Sichtfeld. Nach 9 Tagen und 16 Stunden zum ersten Mal wieder Zivilisation und nicht zu vergessen Telefonempfang. Vor allem Cam hat hohen Nachholbedarf. Jetzt wird erstmal fleißig mit der Außenwelt kommuniziert.
Wie geht es weiter
Auch ich nutze die Gelegenheit und rufe in der Marina Roscoff an. Eine sehr freundliche Dame muss zunächst versuchen, mein französisches Gestammel zu deuten, bis wir uns darauf einigen, in Englisch weiter zu machen. Nachdem ich ihr unsere missliche Lage geschildert habe, macht sich Erleichterung bei mir breit. Sie sagt, dass am Montag Morgen ab 7 Uhr Mitarbeiter vor Ort sind in und sichert mit zu, dass wir in den Hafen geschleppt werden.
Jeder an Bord hängt jetzt seinen Gedanken nach, beantwortet WhatsApp-Nachrichten und bei allen löst sich auch eine Menge Anspannung. Jetzt lass bitte den Wind noch bis zum Ziel durchhalten und das Boot endlich für 2 Tage zur Ruhe kommen, vor allem die Besatzung.
Danke für Eure rege Anteilnahme an diesem Abenteuer, in dem ich glaube auch nicht viel ausgelassen habe. Brauchen tue ich das fürwahr nicht. Aber wenn einer eine Reise tut…
Gut gemacht. Davon könnt ihr noch euren Urenkeln erzählen. Bin gespannt, ob ihr den Motor in Roscoff wieder ans Laufen kriegt.
Mensch Thomas, was für eine story. Erst einmal Glückwunsch, daß Ihr es geschafft habt. Das muß zum Schluß eine riesige Befreiung gewesen sein. Du hast ja nichts ausgelassen in den letzten Tagen. Aber ganz ehrlich: Warum mußt Du es immer so spannend machen? Geht das nicht anders? Also, ab Roscoff
werden die Nerven von uns Landratten geschont und Ihr segelt mit Bilderbuchwind und gelegentlich leichter Motorunterstüzung in den Heimathafen. Man darf ja noch träumen dürfen. Wir verfolgen das.
Hallo Thomas.
Wir sind froh das ihr angekommen seid. Jetzt einmal durchatmen
und in Ruhe den ‚Rest‘ planen.
Wir wünschen dir viel Erfolg bei deiner weiteren Reise.
Gruß an die Mannschaft.
Ruth und Klaus