Um kurz nach 7 sind wir drei aus den Federn und frühstücken. Die Anspannung ist spürbar, fast zum Greifen. Jeder von uns dreien versucht es auf seine Weise zu kompensieren. Wir sind wie in einem Tunnel. Dass Gaby, Bernd, Franzi und Lars nochmal an Bord kommen, freut mich zwar sehr aber viel haben sie von uns nicht mehr. Vielmehr werden sie Zeugen, wie offensichtlich aufgeregt wir alle sind.
Gegen 11 verlassen die ersten Schiffe die Marina. Mit lautem Getöse werden sie verabschiedet. Überall ertönen Fanfaren und Tröten. Da kommt der Kloß schon von ganz alleine in den Hals. Das kleinste Boot der ARC liegt neben uns und legt um halb 12 ab, danach sind wir an der Reihe. Wie angekündigt stehen Lars und Franzi an den Heckleinen und passen auf, dass es sich an Bord nicht im letzten Moment noch einer anders überlegt. Stromkabel weg nehmen, Motor starten und dann einmal tief durchatmen. Ok, jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Chris wirft die Mooringleinen am Bug los, Guido holt die Heckleinen ein und ich fahre behutsam aus der Boxengasse – rückwärts.
Wir sind bis zum zerreißen nervös. Mit vielen anderen teilnehmenden Yachten fahren wir raus in das große Becken des Industriehafens. Jetzt haben wir noch fast eine Stunde Zeit, doch die vergeht wie im Fluge. Das Großsegel ist zweifach gerefft weil es in den ersten beiden Tagen sehr kräftigen Wind aus nordöstlichen Richtungen geben soll, einhergehend mit – im Mittel – 2,5m hohen Wellen.
Das Startschiff – ein Marinedampfer – liegt gar nicht so weit weg und wir sehen wie die beiden Gruppen vor uns sich ins Zeug legen und davon preschen. Dann sind wir an der Reihe. Wer mich kennt weiss, dass ich gerne an der Startlinie bin, wenn das Signal ertönt. Und genau so kommt es dann auch. Es ist ein unglaubliches Gewusel vor allem bei diesen Wind- und Wellenbedingungen. Wir nehmen die Genua komplett heraus und fahren los als der Kanonendonner ertönt. Später erhalten wir zum Beweis einen Screenshot von Vesselfinder. Wir sind jetzt ausnahmsweise ganz vorne, Ein tolles Bild, die vielen Yachten hinter uns zu sehen. Die meisten sind natürlich schneller aber einige Skipper schauen dennoch verwundert, was die kleine Petoya hier vorne macht.
Jetzt müssen wir uns an die furchtbaren Bewegungen gewöhnen, die uns für die nächsten 17 1/2 Tage begleiten. Unsere kleine Nussschale wird zum Spielball der kreuz und quer laufenden Wellen. Und die sind keineswegs nur 2,5m sondern einzelne schätze ich auf etwa 4 bis 5m. Der Wind nimmt weiter zu und wir haben teilweise jetzt schon in Böen 7 Bft. Die Idee mit dem Reff ist Gold wert. Unser Vorsegel muss ein wenig eingerollt werden und dann wird die Windsteueranlage eingesetzt.
Leider erwischt es Guido schon früh. Ihm ist übel und wenig später muss er sich übergeben. Er wird nicht der einzige bleiben, der sich bei den vielen Teilnehmern hier das Essen nochmal durch den Kopf gehen lassen muss. Zum Glück kann Guido bald schlafen und ein wenig Ruhe in den Magen bringen. Chris und ich müssen jetzt die Nachtwachen aufteilen und vereinbaren einen 3-Stunden-Rhythmus. Man kann sich als „Landratte“ vermutlich gar nicht vorstellen wie das ist, auf einem kleinen schaukelnden Untersatz mit hoher Geräuschkulisse über den Ozean zu segeln. Es gehört schon eine Portion Verrücktheit dazu, etwas derartiges über einen Zeitraum von 17 Tagen freiwillig in Angriff zu nehmen. In der Nacht fahren Chris und ich eine Halse. Schließlich wollen wir nicht nach Afrika sondern eher in Richtung Westen. Dann will ich das Vorsegel mit einem Spibaum ausbringen, damit es nicht so sehr schlägt. Allerings ist das ein großer Akt und bei einem Fehltritt mit dazu passender Welle verliere ich den Halt und lande mit dem Schlüsselbein an einer harten Kante. Es ist nichts gebrochen hat aber verdeutlicht, dass wir nicht vorsichtig genug sein können auf dieser Reise. Dann – beim nächsten Wachwechsel – gibt es wieder solch eine verrückte Welle, die wie aus dem Nichts das Boot anhebt. Genau in diesem Moment steht Chris kurz auf um sich anzuschnallen. Doch dabei verliert er durch die genannte Welle den Halt und landet auf meinem Schoss. Dabei quetsche ich mir eine Rippe – an der gleichen Kante wie eben – und schreie kurz auf vor Schmerz. Auch hier kann ich glaube ich Entwarnung geben. Es schmerzt zwar sehr aber es fühlt sich nicht an als sei es gebrochen.
Zum Ende meiner Wache erlebe ich den Mondaufgang. Eine dünne Sichel erhebt sich langsam über den Horizont. Eine Stunde später ist mir auch der Sonnenaufgang vorbehalten. Das hebt die Stimmung und die Müdigkeit verfliegt ein wenig. Guido geht es heute schon sehr viel besser und am Mittag kann er wieder ganz normal essen und trinken. Das hebt die Stimmung nochmal bei uns allen, vor allem bei Guido selbst.
Wir kommen sehr gut voran haben aber keine Ahnung, wo wir im Feld der Teilnehmer gerade liegen. Das Problem bei der Darstellung wird sehr bald sein, dass die Schiffe – egal wie groß sie sind – an ihrer Nähe zum Ziel in St. Lucia gemessen werden und nicht am berechneten Vergütungsfaktor. Das erkläre ich gerne später mal, was es damit auf sich hat. Nur so viel, Es ist absolut ok und zu erwarten, wenn wir uns nicht im vorderen Feld befinden. Abgerechnet wird erst im Ziel 😀
Unser heutiges Etmal – das ist die Strecke, die wir in 24h zurück gelegt haben, beträgt 159sm. Das ist der höchste Wert, den ich bisher mit diesem Schiff geschafft habe.
Jetzt ist es 15:30 Uhr Ortszeit und somit Zeit für eine Tasse Kaffee.
Ihr hört von mir 😀
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N’Abend, Wellenreiter, saach, wie jeht et dir?
’Ne schöne Jrooß!
Lieber Thomas, Deine letzten Berichte sind so anschaulich, dass es uns auch schon ganz plümerant geworden ist. Puuuh! Wir hoffen jetzt, dass Dein Schlüsselbein und Deine Rippen keinen weiteren Härtetests ausgesetzt werden: Kante von unten, Chris von oben…. aua! Kira schlägt vor, die Kante zu polstern. 🙂
Hallo ihr Drei,
immer mit der Ruhe. Ich weiss“ in der Ruher liegt die Kraft “ war und bleibt ein Spruch.
Doch leider stimmt er immer wieder.
Denkt daran, auch ein 24 Std. Rennen im Motorsport gewinnt man nicht in den ersten Stunden.
Also bleibt ruhig und bleibt immer dran , dann klappt es.
Grüße Karl-Peter
Moin Ihr drei Mann in einem Boot,
sach‘ mal, könnt Ihr eigentlich auch mal unspektakulär? Direkt am ersten Tag: Schulter, Rippe, Übelkeit? Andererseits sind die drei Sachen jetzt wohl hoffentlich durch und von meiner Seite „grün“ abgehakt…
Moment mal, mein Telefon schellt gerade… murmel, murmel, „WAS? Echt jetzt?“ murmel, murmel… und ich lege wieder auf. War Roland Emmerich, er wollte was mit einer Atlantik-Überquerung im Segelboot drehen, mal wieder einen echten Hollywood-Blockbuster! Ich hab‘ ihm gesagt, er soll mich in 16 einhalb Tagen nochmal anrufen, ich stelle den Kontakt zu Euch dann gerne her.
(Shanty Chor im Hintergrund):Weigh, Hey and up She Rises, Weigh, Hey and up She Rises, Weigh, Hey and up She Rises, Early in the Morning…
Gute Besserung den Seekranken und Angeschlagenen. Drücke die Daumen für moderaten Wind und Wellengang und entspannteres Cruiseregattamodussegeln.
Der Abschied war auch für uns sehr aufregend und spektakulär. Wir sind an gefühlt 1000 Leuten vorbei um an der Mole Aufnahmen von euch zu machen. Da war ein Radau; Schreien, Pfeifen, weinen, lachen, Kinder, Musik aus der Retorte. Vor lauter Aufregung habe ich vergessen, das Video einzuschalten, aber ein Stück Ausfahrt ist mir dann doch noch gelungen. Die unterschiedlichsten Boote machen mit; von riesengroßen Katamaranen mit 10 Mann Besatzung über 2-Mann Boote ist alles dabei. Die einen fuhren sambatanzend raus, die anderen in Crewoutfit sehr diszipliniert. Aber allen schien gemeinsam, dass sie froh sind, dass es endlich losgeht. Wir sind dann noch abends mit Franzi und Lars Essen gegangen und hatten nur ein Thema: Thomas! Erholt euch gut!
Lieber Thomas, ich bin ein bisschen spät, aber gute Wünsche könnt ihr sicher immernoch gebrauchen. Vor allem wünsche ich euch Glück und Gesundheit! Gute Reise!
Lieben Gruß
Ups – schon in den ersten Stunden eine Menge abbekommen – passen Sie alle drei gut auf sich auf – Sie haben ja die nächsten Tage genug Zeit sich einzugewöhnen. Weiterhin toi, toi, toi!
Hallo Thomas,
das war ja ein tukrbulenter Anfang. Aber Ihr schafft das ja locker. Eines mußl ich allerdings klarstellen:
Dir ist auf jeden fall das falsche Geschlecht auf den Schoß gefallen. Da ist Luft nach oben.