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Es regnet ohne Unterlass. Leider ist Markus Seekrank und liegt in seiner Koje. Das macht die ganze Tour etwas anstrengender für mich.

Um halb fünf klingelt uns der Wecker aus dem Schlaf. Markus hat nicht gut geschlafen. Er ist auch sehr angespannt. Ich rate ihm noch zu einer Reisetablette. Es sind keine guten Voraussetzungen, eine Segelreise zu unternehmen, wenn man müde ist, es kalt und nass ist und man ein wenig Respekt im Bauch hat ob der unbekannten Art zu reisen.

Wir starten den Motor und legen ab. Langsam tasten wir uns bei noch völliger Dunkelheit in den Vorhafen, setzen das Großsegel im 3. Reff und packen einen kleinen Ausschnitt des Vorsegels dazu. Dann kehrt Ruhe ein. Wir segeln in die tiefschwarze Nacht hinein. Wobei es in einer Stunde schon hell sein wird. Die Dämmerung beginnt kurz nach unserem Auslaufen.

Die Windsituation ist nicht so einfach zu beurteilen für eine Etappe von etwas mehr als 300 Seemeilen. Da ich mit ´Windy´ auf der gesamten Tour immer gute Erfahrungen gemacht habe, vertraue ich auch jetzt wieder auf die Angaben. Ich erstelle mir für den Zeitraum von 52 Stunden Screenshots und versuche herauszufinden, wo wir zu welchem Zeitpunkt sein werden. Dieser Check hatte dazu geführt, dass wir eben genau jetzt unterwegs sein sollten. Wären wir früher losgefahren, dann hätte uns ein Starkwindfeld an der Engstelle zwischen Calais und Dover die Laune vermiest. Würden wir erst ein paar Stunden später lossegeln, dann hätten wir das Problem, dass uns stürmischer Wind auf den letzten 50 Meilen zu schaffen machen würde. Auch alles noch weiter nach hinten zu schieben, wäre keine Option, da die Winde danach sehr indifferent sein werden. Also müssen wir es jetzt einfach durchziehen. 

Regen setzt ein und ich versuche mich und die Instrumente mit einem Schirm zu schützen. Der Wind kommt über die komplette Strecke gesehen meistens genau von hinten. Das heißt der Regen weht ihn durchs ganze Schiff. Wir schließen die Luken am Niedergang und so bin ich mit dem Wetter alleine auf weiter Flur. Es gibt kaum Begegnungen mit anderen Schiffen und schnell haben wir auch keinen Handy-Kontakt mehr zur Außenwelt. Ich versuche – wenn es geht – etwas zu dösen, stelle mir den Wecker immer 20 Minuten weiter. Laut AIS kann ich ja sehen, ob sich jemand in unseren Dunstkreis begibt oder nicht. Die Windfahne arbeitet wieder in Perfektion. Meist habe ich den Großbaum weit ausgestellt und mit einem sogenannten Bullenstander gesichert. Auch mit dem Vorsegel verfahre ich so. Ich haben einen langen Spinnakerbaum, mit dessen Hilfe ich das Vorsegel in alle Richtungen fixieren kann. So fahren wir überwiegend einen sogenannten „Schmetterlingskurs“. Das heißt das eine Segel ist an Backbord (links) und das andere an Steuerbord. Die Windfahne macht ihren Job hier erstaunlich gut. Unter dieser Besegelung selber zu steuern bedarf einiger Erfahrung und viel Konzentration. Die Hydrovane muss sich nicht groß konzentrieren. Sie macht das einfach. Sie ist unsere Lebensversicherung.

Grau in Grau. Das ist schon etwas frustrierend. Viel Wind, viel Regen und wenig Wärme. Ich habe 5 Lagen an und trotzdem zieht die feuchte, kalte Luft in jede Ritze.

Der Beginn unserer Reise ist auf fünf Uhr terminiert, weil wir ab halb sechs eine in unsere Richtung laufende Meeresströmung haben. Das bedeutet, dass das Medium Wasser unsere Fahrt um etwa 3 bis 4 Knoten beschleunigt. So kommt es, dass wir mit bis zu 10 Knoten dahin jagen. Natürlich ändert sich das wegen der Gezeiten etwa alle 6 Stunden. Dann läuft der Strom entsprechend gegen uns und verlangsamt unsere Fahrt. Aber weil wir dann schon sehr weit weg von Land sind, ist der Effekt nicht ganz so krass. Dort können wir immer noch mit etwa 4 bis 5 Knoten Geschwindigkeit rechnen. Meine Hoffnung ist, dass wir die Gesamtstrecke zwischen 48 und 52 Stunden bewältigen. Das ist ein enger Rahmen und ein wenig schwingt Hoffnung mit. Aber es ist kein unrealistisches Unterfangen. Sollte doch etwas unerwartetes passieren, dann kann ich immer noch umschwenken und irgendeinen der vielen Häfen anlaufen, die auf dem Weg passiert werden.

Irgendwann in der Nacht steht Markus auf und übernimmt einen Teil der Wache. Ich bin sehr froh darüber und schlafe sofort tief und fest. Aber nach zwei Stunden ist es wieder vorbei damit. Wir müssen ein Manöver fahren und dazu werde ich an Deck gebraucht. Wir liegen nach 24h voll im Plan. Erstens hat der Wind kurz vor der Passage der Engstelle wie erhofft abgenommen und weht nur noch mit etwa 5 Bft. und zweitens haben wir das von mir erhoffte Etmal (Strecke innerhalb von 24h) sogar übertroffen. Mehr als 154 Seemeilen stehen zu Buche. Das ist richtig gut und wir sind jetzt kurz vor Calais. Das erfordert wegen des vielen Schiffsverkehrs erhöhte Aufmerksamkeit. Gar nicht so einfach bei der vorhandenen Müdigkeit. Aber es ist machbar. Es gibt mehrere Möglichkeiten der Routenplanung. Wir könnten nahe der Küste fahren aber dort ist die Strömung gegen uns etwas stärker als weiter draußen. Die zweite ist, gleich langsam ins Verkehrstrennungsgebiet zu fahren und dort dem Fahrwasserverlauf zu folgen. Immer schön am Rand, damit die Berufsschifffahrt keinen Grund zur Beschwerde hat. Das hat den weiteren Vorteil dass wir die ganzen küstennahen Sandbänke bequemer umfahren können. 

Der heutige Tag ist deutlich angenehmer. Die Sonne lugt zwischenzeitlich hervor und der Wind ist weiterhin sehr gnädig mit uns. Auch sind die Wellen nicht so hoch, wie ich es erwartet hatte. Das heißt nicht, dass es sich unter Deck damit gut schlafen lässt. Aber ich habe auf der Tour schon deutlich schlimmere Streckenabschnitte gehabt.  

Ich montiere den Spinnakerbaum an der Genua, damit wir diese ausbaumen können. Das ist ein ziemlicher Balanceakt. Dabei bin ich selbstverständlich mit dem Boot verbunden (angeschnallt).

Es ist schon ein ziemliches Gewusel. Marinetraffic gibt das sehr gut wieder. Wir müssen ständig auf der Hut sein und auch dem ein oder anderen Frachter aus dem Weg gehen. 

Die Müdigkeit im Zusammenspiel mit erhöhter Konzentration sorgt bei mir für Kopfschmerzen. Zum Glück ist Markus wieder voll auf dem Damm und übernimmt jetzt seine Wache. Ich kann mich ausruhen aber schlafen leider nicht. 

Ein wenig Platz ist noch dazwischen...

Nachdem wir uns am ersten Tag nur von Müsli, Bananen und anderem Kleinkram ernährt haben, gibt es heute Nudeln mit Pesto, einer Erbsen/Möhren-Mischung und Thunfisch. 

Die letzte Engstelle liegt mit der Maasmündung bei Hoek van Holland noch vor uns. Es fällt in meine Wache, diese zu überwinden. Wie an einer Perlenkette liegen riesige Frachter vor Rotterdam auf Reede. Jetzt – mitten in der Nacht – ist zum Glück nicht so viel Verkehr. Ich rufe über Funk die Überwachungszentrale und die bescheinigt mir freie Fahrt. Es ist 2 Uhr und ich bin auf meinem Tiefpunkt angelangt. Meine Stirnhöhle schmerzt, vor meinen Augen fängt es an zu flimmern, wenn ich auf das viel zu helle Tablett schaue oder auf die Schiffe, die auch hinter dem Maasgeul vor Anker liegen und scheinbar alle Leuchten eingeschaltet haben, die sie besitzen. Ich rufe nach 4 1/2 Stunden Wache Markus aus seinem Schlaf. Ich muss mich hinlegen, nehme noch eine IBU zu mir und falle in einen komatösen Schlaf. Etwa zwei Stunden später hat der Wind – wie erwartet gedreht und kommt aus Süd-Süd-Ost. Wir können den Schmetterling nicht weiter fahren und  ich muss wieder nach vorne, damit der Spi-Baum weggenommen werden kann. Wir sind noch 8 Seemeilen von der Einfahrt nach Ijmuiden entfernt. Um 5 Uhr ist das nächste Etmal fällig. Diesmal sind es „nur“ 141 Seemeilen. Das ist immer noch ein guter Wert und in der Summe sind es 295. 

Um exakt 7 Uhr passieren wir die Hafenmolen von Ijmuiden. Und eine halbe Stunde später sind wir fest in der Marina. 50 Stunden und 30 Minuten für 309 Seemeilen. Wir fallen uns glücklich in die Arme und freuen uns auf eine kleine Mütze Schlaf.

Das Ziel ist zum Greifen nahe.
Die Steuerbordseite der Hafenmole ist fast erreicht. Im Hintergrund erkennt man die Industrieanlagen von Ijmuiden.
Das hier ist die Prognose von Windy für heute Nachmittag. In Böen erreicht der Wind 45 Knoten. Wir können froh sein, dass wir im geschützten Hafen liegen.

Jetzt heißt es Kraft sammeln, ausschlafen und den Rest der Tour bis zum Schokkerhaven in Ruhe zu bewältigen. Dort wollen wir am Samstag zur Mittagszeit eintrudeln und die Atlantikrunde beenden.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Karl-Heinz S.

    Super gemacht – kannst ja ein Lehrbuch schreiben: Atlantikrunde mit Komplkationen
    Wir freuen, dass Ihr wieder in heimatlichen Gefilden seid…. und nicht die Schleuse bei Enkhuizen nehmen, dort ist sehr viel Kraut, wie wir neulich gesehen haben.
    Lilo & Karl-Heinz

  2. Ruth

    Hallo Thomas
    Toll das ihr so gut durchgekommen seid. Das Ankommen nach 2 Tagen in einem geschützten
    Hafen ist sehr erlösende. Gute Fahrt nach Schokkerhaven.
    TOLLE REISE !!!!

    RUTH UND KLAUS

  3. Marianne Kargol

    Herzklopfen,,
    Ausatmen,

    Glückwunsch an die
    crew,
    Dank an den Himmel. M.

  4. Barbara u. Peter

    Glückwunsch auch von uns an Euch. Tolle Leistung. Ihr seid ja hart im Nehmen und werdet Euch schnell erholen für die Fahrt nach Schokkerhaven. Hören schon den Korken knallen.

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