Von Jim erfahre ich eine erschütternde Lebensgeschichte, als wir von unserem Ausflug zum Fort zurückkehren. Doch vorher lernen wir ein weiteres Puzzleteil karibischer Geschichte kennen.
Um 1690 haben die Briten auf der Insel St Christopher – wie St.Kitts eigentlich richtig heißt – die erste Kanone installiert. Man war sich seitens der Admiralität bewusst, dass der Hügel, auf dem das Fort George errichtet wurde strategisch ungemein wichtig war. Doch der Kampf um die Karibischen Inseln nahm gegen Ende des 18. Jahrhunderts erst richtig an Fahrt auf. Ein wichtiger Rohstoff – Zucker – wurde zum Markenzeichen und dafür wurde gekämpft. Das hatte ich ja bereits hinlänglich beschrieben, wie die Eilande hier permanent ihre Besitzer wechselten. Am Ende einigte man sich auf einer Konferenz in Paris darauf, die Inseln aufzuteilen und die kriegerischen Auseinandersetzungen zu beenden. Schon oft wurde in der Geschichte der Menschheit sinnlos Blut vergossen, so auch in diesem Teil der Welt.
15 Dollar (US) kostet der Eintritt zu der weitläufigen Anlage. Schon imponierend, welche gewaltigen Ausmaße dieses Fort hat. Ein weiteres unrühmliches Kapitel der Menschheit. Die Besatzer haben die Ureinwohner der Karibik ausgerottet, sich auf den Inseln breit gemacht und aus Afrika zu tausenden Sklaven hier her gebracht. Diese haben auf den Zuckerrohrplantagen arbeiten müssen, die Häuser der Grundbesitzer und die Befestigungsanlagen gebaut und auf Seiten der einen Besatzer gegen die anderen Besatzer gekämpft. Viele der heutigen Bewohner der Karibik sind Nachfahren der Sklaven.
Wir bekommen einen Film zu sehen, in dem all die Zusammenhänge geschildert werden. Am Ende bleibt nicht mehr als Kopfschütteln und Scham über das, was Menschen anderen Menschen angetan haben und nach wie vor antun.
Oben vom Fort aus hat man einen tollen Blick auf die Umgebung. Unten im Tal, an der Küste entdecken wir einen Bootslagerplatz. Dort werden die Yachten an Land in eine Senke gestellt, damit sie bei den Hurricanes, die hier beinahe in jedem Jahr durchziehen, nicht umkippen können. Das hat mehrere Vorteile. Unter anderem braucht man keine Leiter, um für anstehende Arbeiten aufs Schiff zu kommen. Sieht ein wenig skurril aus, ist aber sicher nicht verkehrt.
Auf dem Rückweg ins Tal sehen wir dann – wie versprochen – ein paar Affen. Sie sind sehr scheu und lassen sich nicht so einfach vor die Kameralinse locken. Wie genau sie her gekommen sind ist mir nicht klar. Ich vermute aber, dass sie sich damals ausgewildert haben. Was jetzt noch fehlt ist ein Pirat mit Augenklappe und Holzbein.
Nun zu der Geschichte von Jim. Ich habe ja die Eigenart, Menschen mit unerwarteten Fragen zu konfrontieren und oft bekomme ich dann Antworten. Auch wenn sie in Jim´s Fall anders ausfallen, als man sie sich hätte ausdenken können. Ich frage ihn nach seiner beruflichen Tätigkeit und nach dem Alter seiner Kinder. Dass er Missionar ist, hatte ich schon erwähnt. Er hat einen Sohn der jetzt 28 ist und zwei Töchter von 18 und 17. Er bemerkt, dass ich stutze und über den Unterschied von 10 Jahren zwischen dem ersten und den anderen Kindern nachdenke.
Er war vor 22 Jahren im brasilianischen Busch seiner Tätigkeit nachgegangen. Auch seine damalige Frau Roni, der gemeinsame 6 jährige Sohn und die neugeborene Tochter waren mit ihm unterwegs. Er wohnte aber in Peru und ließ sich mit einer Cessna nach Hause fliegen. Etwa zu diesem Zeitpunkt hielt der frisch gewählte Präsident George Bush in Kanada eine Konferenz zur Bekämpfung der organisierten Drogenkriminalität ab. Viele Drogen wurden per Kleinflugzeugen transportiert und man wollte dem Schmuggel einen Rigel vorschieben. Und da man kurzfristige Erfolge erzielen wollte, wurde die Devise ausgegeben, dass im Zweifel auf die Flugzeuge geschossen werden sollte. Unglückseliger Weise war nun Jim mit seiner Familie in diesem gefährlichen Umfeld unterwegs und er erlebte einen Albtraum, wie er schlimmer kaum sein konnte. Das Flugzeug, in dem er saß wurde unversehens beschossen. Es muss eine Maschinengewehr gewesen sein und eine der Kugeln traf seine Frau und das Baby tödlich. Er selbst und sein Sohn blieben unverletzt. Der Pilot wurde an den Beinen getroffen und konnte das Flugzeug noch eigenhändig notlanden. Es gab danach lange Gerichtsverfahren und am Ende dann Entschädigungszahlungen für den „Fehler“ den man gemacht hatte, versehentlich auf ein Flugzeug zu schießen, in dem eine Missionarsfamilie saß. Ich bin fassungslos, als ich diese Geschichte höre. Und ich bin mir sicher, dass ich sie vor mehr als 20 Jahren auch schon in den Medien verfolgt habe. Den Rest des Weges gehe ich mit permanentem Kopfschütteln über das gerade gehörte. Ich bewundere Jim dafür, dass er nicht den Lebensmut verloren hat. Er ist wieder glücklich verheiratet.
Ich habe ihn gefragt, ob ich seine Geschichte in den Blog setzen darf. Und er hat sofort gesagt, dass das vollkommen in Ordnung sei. Dann hat er mir noch ein paar Stichworte gegeben, die auf die wahren Zusammenhänge von damals schließen lassen. Wer will, kann unter dem Namen „Roni Bowers“ seitenweise Berichte im Netz finden.
Es ist schwierig, nach solch einer Geschichte wieder zum hier und jetzt zurück zu kehren. Aber irgendwie muss es weiter gehen. Ich bin in der Zwischenzeit auch schon wieder weiter gesegelt. Aber davon berichte ich im nächsten Blogeintrag.
Was für eine furchtbare Erfahrung, die Jim da machen mußte. Umso schöner, daß er aus diesem furchtbaren Loch herausgekommen und nun wieder glücklich verheiratet ist. Wir wünschen Dir ruhigeres Segeln und den Schlaf von Bären im Winter. Tief und fest.