Meine Bitte findet Gehör. Der Motor hält weiter brav durch. Ich belaste ihn auf kleinster Stufe und damit schaffen wir weiterhin etwa 4 Knoten Fahrt. Die Bordroutine sieht am Morgen so aus, dass Andrea von 8 bis 12 Wache hat, ich etwa um 9 aufstehe und frühstücke. Cam hat eigentlich die beste Wachzeit erwischt. Er beendet am Abend seine Wache um 8 Uhr, legt sich dann ins Bett und kann bis 4 Uhr schlafen. Nach seiner Wache liegt er meist noch bis 11 in der Koje und kann damit auf knapp 10 Stunden Ruhezeit kommen.
Am Tag erledigen wir ein paar Aufgaben, so wie gestern das polieren der Edelstahlteile an Bord. Ansonsten versuchen wir es mit ein wenig Ausbildung, Theorie und Praxis in einem.
Und dann läute ich den Badetag ein. Mir wurde von meinen Großeltern erzählt, dass es dafür früher an Samstagen eine volle Wanne mit warmem Wasser gab, in der zunächst der Vater, dann die Mutter und dann die Kinder dem Bade fröhnen durften. Hier an Bord ist es ähnlich. Zunächst ziehe ich eine Art Jacke an, die nur aus ein paar Gurten besteht und sichere mich mit einem Lifebelt am Schiff, dann nutze ich die Badeplattform am Heck und setze mich auf eine Holzstufe. Sodann gleitet die „Pütz“ (Eimer) ins gar nicht mehr so warme Wasser des Atlantiks und der Inhalt mit wirklich kühlem Wasser ergießt sich über meinem Kopf. Nach dem ersten Schock kommen weitere Wasserkaskaden und dann folgt das Shampoo. Danach wieder alles mit Salzwasser ausspülen und zum Abschluss das Highlight. Mit warmem Süßwasser aus dem 20-Liter-Boiler wird das Salz abgespült. Der oder die letzte, die meinem Beispiel folgt hat dann eventuell das Pech, dass kein warmes Wasser mehr übrig ist. Aber keine Sorge. Da der Motor läuft, wird ständig neues warmes Wasser produziert und alle kommen auf ihre Kosten. Ich jedenfalls fühle mich hinterher sehr erfrischt und auch Cam und Andrea sind froh, dass sie meinem Beispiel gefolgt sind.
Von Torsten werde ich mit Nachrichten aus aller Welt beliefert. Manchmal ist es vielleicht besser, man bekommt nicht so viel mit von all dem Elend aber irgendwie bin ich froh, auf dem Laufenden zu sein. Das Thema mit dem Wind und dem Wetter bleibt spannend. Die neuesten Grib-Daten deuten darauf hin, dass auch in den kommenden Tagen die Fortbewegung mittels Wind ein wenig eingeschränkt bleibt. Aber es ist nach wie vor eine gute Idee, weiter weg zu kommen vom Azorenhoch und damit immer noch nach Norden zu navigieren.
Immerhin setzt am Mittag eine leichte Brise ein und das Zusammenspiel von leiser Fahrt unter Motor (die ist alles andere als leise…) und der vollen Besegelung bringt uns im Laufe des Tages immer mal auf 5 bis 6 Knoten Fahrt. Wir probieren es kurz ohne Motorunterstützung und erhalten die Quittung. Nur noch 3 Knoten stehen auf der Uhr. Also wieder retour. Aber die Idee mit dem Nordkurs erweist sich als gut, der Wind legt auf 3 – 4 Bft zu und dann wird es endlich mal leise an Bord. Motor aus und Tempo trotzdem bei knapp 6 Knoten. Das hebt die Stimmung beim Skipper deutlich. Auf diese Weise können wir auch heute wieder ein relativ gutes Etmal von 114 Seemeilen vorweisen. Bisher noch kein Mal unter 100, angesichts der Umstände ist das richtig gut. Nur macht mir diese ständige Suche nach dem Wind ein wenig Sorge. Wenn wir immer nur nach Norden fahren, dann landen wir unweigerlich in Island. Das ist sicher auch sehr schön dort und auch gar nicht so viel weiter weg als Holland. Aber wir haben nicht die richtige Kleidung für Schnee und Eis an Bord.
Noch etwa 800 Seemeilen bis Roscoff. Am Abend haben wir schon 470 Seemeilen geschafft. Das sollten wir am Mittwoch die Halfway-Party feiern können. Dann kommen wir dem Ziel schnell näher.
Hier draußen in der Wildnis gibt es kaum Begegnungen mit anderen Schiffen. Heute haben laut AIS zwei Schiff unseren Kurs gekreuzt, die haben wir aber nicht gesehen. Dafür hätte uns in der vergangenen Nacht beinahe ein Frachter aufs Korn genommen. Ob er uns wahrgenommen hätte, kann ich nicht sagen aber zur Sicherheit habe ich ihn angefunkt. Ein verschlafener Wachhabender antwortet mir, dass er seinen Kurs ein wenig ändern werde, damit sie an uns vorbeifahren. Ansonsten werden wir von Seevögeln beglückt und ein paar Mal auch von Delphinen. In der Nacht hatte ich das Glück, dass in völliger Dunkelheit eine Delphinschule ihre Schleifen durchs Wasser zog. Da das Wasser hier draußen im Zusammenspiel mit zugeführtem Sauerstoff Fluoreszierende Partikel aufleuchten lässt, ziehen die Delphine immer eine breite leuchtende Spur mit sich durchs Wasser. Das sieht aus, als seien Seeungeheuer auf dem Weg. Und immer wenn sie an die Oberfläche kommen, schrumpfen die Scheinriesen zusammen zu normal gewachsenen Tieren.
Drückt uns weiterhin die Daumen, dass wir gut durch die Weiten des Ozeans gleiten können und dass wir guten Wind zum Segeln bekommen.