Die restliche Nacht verläuft ohne weitere Ereignisse. Wir kommen aber nur sehr schleppend voran. Der Wind ist schwach und lässt nicht zu, dass wir den Kurs direkt auf St. Lucia anlegen können. Irgendwann sind wir drei zwar alle wach aber die Stimmung ist gedrückt. Wir fangen an, uns darüber Gedanken zu machen was ist, wenn die Vorräte zur Neige gehen, wir tagelang in der Flaute hängen und nicht vorwärtskommen, weil wir keinen Diesel mehr im Tank haben. Zwar haben wir ausreichend Wasser zur Verfügung und mit dem Wassermachen ein Instrument, das hilft, nicht verdursten zu müssen. Aber unsere Vorräte würden jetzt noch für ca. 10 Tage reichen und dann müssten wir versuchen, uns von Fischen zu ernähren. Wenn wir denn welche fangen würden. Seit Tagen haben wir nur noch Seegras am Haken. Da war nichts essbares dabei. Was, wenn wir nicht rechtzeitig auf Martinique wären und die Flüge nicht antreten können.
Ich mache mir Vorwürfe, den Tank nicht befüllt zu haben. Das war wirklich keine gute Idee von mir. Die Windprognose für die nächsten Tage – vor allem für Samstag und Sonntag – ist mau. Zwar scheint ein großer Teil der ARC-Flotte da noch mehr Probleme zu haben, weil es weiter südlich von uns schon jetzt kaum noch Wind gibt. Aber das hilft uns auch nicht weiter. Chris hat sich aufs Ohr gelegt, Guido ist unter Deck und liest und ich gehe meiner Wache nach. Versuche das Boot per Hand zu steuern – bei ca. 2kn Fahrt. Es ist ein Nervenspiel. Ich denke darüber nach, dass es gut gewesen wäre, das Angebot unseres Schwesterschiffes gestern wahr zu nehmen und 40 Liter in Kanistern zu übernehmen. Aber die Chance ist vertan.
Mein Blick schweift über den Horizont, einmal ringsherum. Und plötzlich stocke ich. Da ist ein Schiff – gar nicht weit weg von uns. Ich lasse mir das Fernglas reichen und sehe dass es ein Motoyacht ist. Sofort springe ich zum Funkgerät und rufe das „unknown vessel“ (wir empfangen kein AIS-Signal im Moment). Nach zweimaligem Anruf ertönt von der „Scott Free“ eine ruhige, sympathische Stimme. Wir erkundigen uns gegenseitig über das woher und wohin und dann stelle ich die Frage, ob sie uns wohl mit 80 Litern Diesel aushelfen könnten. Die Antwort kommt prompt: „No Problem Sir“. Es ist unglaublich. Da sind wir mitten auf dem Atlantik und finden eine Tankstelle. Im Film „Das Boot“ gibt es eine Szene, in der Jürgen Prochnow den Satz ausspricht: „…da hat uns der liebe Gott eine Schüppe Sand unter den Kiel geschmissen…“. Etwa so fühlt es sich für mich gerade an.
Wir bergen die Segel und die Luxusyacht nähert sich uns langsam. Sie haben ein kleines Gummiboot zu Wasser gelassen und dort 4 Große Kanister mit Diesel vertäut. Wir starten den Motor und bugsieren unser Boot rückwärts in Richtung der Yacht. Dort stehen 8 Besatzungsmitglieder und bereiten die Übergabe vor. Einer wirft uns mit einer sogenannten Affenfaust (ein dicker Knoten) eine Leine zu und wir ziehen das Gummiboot zu uns herüber. Mit dem Captain vereinbare ich, dass wir die Kanister (V4A-Edelstahl) in St.Lucia deponieren, damit er sie dort wieder einsammeln kann. Wir werfen noch eine Rolle mit 100 Dollar hinüber und einem Brief, der unsere Dankbarkeit zum Ausdruck bringt. Dann verabschiede ich mich über Funk von der „Scotch Free“ und seiner Crew: „We love you…“
Schlagartig ist unser Stimmungslevel wieder nach oben ausgeschlagen. Wir deponieren die Kanister unter Deck. Die werden wir am Wochenende noch benötigen, wenn wir in die Windstille Zone vor St. Lucia kommen werden. Passend zur gehobenen Stimmung kommt auch wieder eine leichte Brise auf, mit der wir ein wenig mehr Fahrt aufnehmen und sogar für den Moment den Kurs direkt auf unser Ziel absetzen können. Wir sind gelöst und schauen sehr viel optimistischer drein. Guido und ich werfen sogleich den Wassermacher an und produzieren 8 Liter besten Trinkwassers.
Zur „Feier“ des Tages mache ich ein Gericht, das ich beherrsche ?? Es ist Milchreis, dazu gibt es ein Glas Sauerkirschen und alles wird mit Zimt und Zucker versehen. Selbst Guido nimmt noch eine zweite Portion, wo er eigentlich kein Fan einer solchen Süßspeise ist.
Der Wind steht durch und kommt weiterhin aus einer passablen Richtung. Und morgen früh werden wir hoffentlich weniger als 600 Seemeilen zu fahren haben.
Unglaublich. Wir weinen hier alle vor Freude über den Deal mit dem Sprit. Dolles Ding.
Hm, Milchreis, davon kann ich mich auch so satt essen, dass ich nicht mehr sitzen kann.
Werden am Sonntag bei der Familienfeier an euch denken!
Eurem Schutzengel sei Dank. Ich brauche ein Taschentuch.
Glückwunsch. In jeder Hinsicht günstig getankt.
Bei Luxusyacht hätte ich vermutlich gefragt, ob es nicht noch ein paar leftovers vom letzten Dinner gibt … Als nächstes dann nach Fishing Vessel Ausschau halten.
Mit Aeolus würde ich an Eurer Stelle kein Wort mehr reden.
Drücke die Daumen, dass noch etwas Zeit für Sightseeing bleibt.
Ahoi lieber Thomas! Deine Berichte sind wirklich spannend und wir können uns gut in euer (schaukeliges) Bordleben mit den Höhen und Tiefen hineinversetzen. Ich bewundere die Ausführlichkeit und deinen Schreibstil! Ganz herzlichen Dank für die Möglichkeit, virtuell mitreisen zu können! Wir drücken die Daumen für eine sichere Ankunft. Alle guten Gedanken begleiten euch. Viele liebe Grüße auch an deine beiden Mitsegler, Antje und Ingo
Da fällt einem ja gleich mit ein Stein vom Herzen – drücke kräftig die Daumen für die „letzten“ Meilen!
Bitte den Diesel vor lauter Freude nicht
„trinken „.
Hallo Thomas und Crew, durch Zufall entdecke ich im Internet deine tollen Berichte. Genau das was ich in meinem Leben ebenfalls hätte machen wollen. Hat nicht geklappt und deshalb bin ich mächtig stolz auf dich. Ich verfolge schon seit Tagen deine Berichte. Ich wünsche dir und deiner Crew einen angenehmen halben Wind von mindestens 4-5 Bf und stets eine Handbreit Wasser unterm Kiel so dass ihr mit vollen Segel den Zielhafen anlaufen könnt.
Das Glück mit dem Sprit habt ihr euch ehrlich verdient. Alles Gute für die restlichen Meilen. Ihr schafft das.