• Beitrags-Kategorie:Segeletappen

In der Nacht ist die Kante schließlich unter uns und an der Oberfläche spielen sich turbulente Szenen ab. Ein wahrer Hexenkessel ist das hier. Nicht dass das Wasser schon die ganze Zeit über bewegt ist und uns immer wieder durchschüttelt. Hier brodelt es förmlich. Es gibt kein Fahrgeschäft auf der Kirmes, das hier auch nur annähernd herankommt. Wie wild tanzt Petoya auf den konfusen Wellen herum und doch vermittelt das Boot ein Gefühlt von Sicherheit. Als wollte sie sagen: Hey, ich schaukel euch schon hier durch, macht euch keine Sorgen.

Überhaupt ist das Thema mit den Sorgen latent vorhanden. Ich habe davon gerade nicht zu wenig. Aber eine der größten ist die der Verantwortung, die ich trage. Es gibt Situationen, in denen ich mich fürchte. So weit draußen, so alleine in dieser Wasserwüste, kein anderes Schiff weit und breit, dazu dieser permanente Druck, die Belastungen, die die Yacht aushalten muss. Was wenn etwas bricht, ein Stag, der Mast, wenn die Segel zerfetzen. Hier draußen, ohne funktionierenden Motor wären wir verloren. Es gibt natürlich die Möglichkeit, Hilfe zu holen. Etwa über die EPIRB-Boje oder auch den InReach, der mir in diesem Moment erlaubt, die Blogs an Torsten zu senden. Darüber könnte ich auch Hilfe rufen. Es gibt eine SOS-Funktion. Aber bei den Bedingungen wäre all das sicher kein Vergnügen.

Ich möchte das Schiff jetzt in den sicheren Hafen bringen und ich möchte meiner Verantwortung gerecht werden.

Zumindest sind wir jetzt wieder von Leben umgeben. An der Abbruchkante sind eine Reihe von Fischern unterwegs. Lauter AIS-Signale auf dem Bildschirm zeigen uns an: Es gibt noch Leben auf dem Planeten.

Der Tag beginnt mit freundlichem Wetter aber es ist unglaublich kühl. Gerade einmal 16° zeigt das Thermometer. Ich schaue auf den Kalender und reibe mir verwundert die Augen. Ja, es ist der 1. Juli. Hoffentlich wird es bald mal Sommer.

Heute gibt es wieder einen leckeren Snack zu Mittag. Das Brot, das Andrea gebacken hatte, ist echt gut geworden. Kein Vergleich zu dem knochenharten Fladenbrot, das ich vor ein paar Tagen gemacht habe. Was das Kochen und Backen betrifft, gibt es bei Cam noch großen Nachholbedarf. Dafür ist er jetzt der Master of dishes. Drei Mal am Tag steht er in der Kombüse und spült. Andrea ist selbst von ihrem Brot derart angetan, dass sie spontan noch eins backt.

In dieser Zeit unternehmen Cam und ich einen letzten Versuch, den Generator zu überreden, für uns Strom zu erzeugen. Aber das Ergebnis muss ich euch nicht mitteilen. Der Ladezustand der Batterien erreicht ein kritisches Maß. Am Nachmittag liegt die Kapazität nur noch bei 33%. Wir sparen wo enur geht. Alleine das AIS und das Tablett für die Navigation hängen noch an der Batterie. Ich muss unweigerlich an den Spruch aus der Apollo 13 denken. Houston, wir haben ein Problem. Ganz so krass wie damals im All ist es zwar hier nicht aber es kommt mir schon vor, als gingen wir auf der letzten Rille durchs Ziel. Die Kartendarstellung macht allerdings auch Mut. Unaufhaltsam nähern wir uns der ersten Landmarke, die wir morgen früh zu sehen bekommen: Ile d’Ouessant. Sie ist am äußersten Zipfel der Bretagne in Nordwesten Frankreichs. Und auf dieser Insel bin ich im vergangenen Jahr schon gewesen. Wir werden sie nördlich passieren und müssen dabei aufpassen, dem Verkehrstrennungsgebiet nicht zu nahe zu kommen. An dieser Stelle biegen täglich viele große Pötte aus dem Kanal in Richtung Ozean ab und umgekehrt. Bis dahin sind es – Stand jetzt – noch etwa 48sm und bis zum Etappenziel dieser Reise sind es genau 100.


Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Deon and Toinette

    Looking forward to hearing you have reached your first destination with minimal frustrations.
    Nice to hear you are all still in high spirits

  2. Gaby Klasen

    Land in Sicht? Gut so. Auch dass mehr andere Schiffe in eurer Nähe sind. Rechter Daumen ist taub vom Drücken.

  3. Barbara u. Peter

    Hallo Thomas, mit dem Ziel vor Augen steigt die Motivation noch einmal und es ist ja fast geschafft. Der Schampus steht schon kalt und Ihr habt dann wahrlich einen Grund, einen richtig großen Anleger zu trinken. Hoffentlich kann Euch dann jemand helfen mit dem Motor, damit die Weiterfahrt streßfreier wird.
    Wir freuen uns schon richtig auf Deine Nachricht über die Ankunft.

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