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Der heutige Freitag ist der stürmischste Tag der Reise von den Azoren zum Kanal. Das Leben an Bord gestaltet sich zunehmend schwieriger. 

In der Nacht hat der Wind zugelegt und weht mit mindestens 5 bis 6 Bft. In Böen kommen noch ein paar Häppchen dazu. Und da es schon seit einigen Tagen aus dem Nordwestquadranten weht, hat sich auch das ein oder andere Wellenfeld gebildet. Die Überlagerung mehrerer unterschiedlicher Wellensysteme bildet um uns herum eine bizarre Landschaft aus völlig konfus ineinander verwobenen Wasserbergen und -tälern. Einzelne Wellen schätzen wir auf etwa 6 bis 7m. Es ist erstaunlich, wie gutmütig Petoya Too das alles weg steckt. Sie muss dabei aber auch einige harte Schläge überstehen. Manche Wellen knallen mit großer Wucht von der Seite gegen den Rumpf. Wer von uns dreien dann gerade unter Deck ist, bekommt regelmäßig einen Schreck. Dann bauen sich von hinten ein paar Scheinriesen auf, die das Boot um 3m überragen. Dann habe ich Angst, dass sie sich über uns brechen und in Kaskaden über uns ergießen. Aber was tatsächlich passiert ist, dass sich das Heck des Schiffes langsam hebt und die eben noch so mächtige Wasserwand klammheimlich unter dem Boot verschwindet. Ein insgesamt sehr aufregendes Unterfangen. Dass dieses Boot all das meistert, die Hydrovane so tut, als sei alles ein Kinderspiel und die Crew dabei gute Laune hat mutet schon seltsam an.

Ein letztes Mal versuche ich, den Motor zum Laufen zu überreden. Spreche ihm gut zu, löse nochmals die Überwurfmuttern der Injektoren und rüttle sie vorsichtig frei. Dabei entdecke ich ein wichtiges Kabel, das nicht mehr korrekt in seinem Schuh steckt, fixiere es neu und auch das leichte Spiel, dass der Stoppzug (ein Drahtzug, der dem Motor die Luft zum Atmen entziehen kann) hat, bemerke ich. Nun also der letzte Versuch. Um es kurz zu machen, auch der misslingt.

 Wir sind nun darauf angewiesen dass der Wind bis Riscoff aus der richtigen Richtung mit der Stärke weht, die wir brauchen, um uns dem Hafen sicher zu nähern. Ich will Eure Daumen ja nicht überstrapazieren aber es wäre hilfreich… ihr wisst schon was ich meine.

Heute geht es eigentlich nur darum, den Tag und die folgende Nacht gut zu überstehen. Ab morgen soll es wieder ein wenig moderater wehen. Trotz der enormen Bewegungen an Bord gelingt es uns, regelmäßig Nahrung zu uns zu nehmen. Das klingt sicher ganz lustig und ist es von außen betrachtet auch. Aber die praktische Umsetzung will geübt sein.

Am Abend, Punkt 19 Uhr Bordzeit sind wir gespannt auf unser Etmal. Alles deutet auf einen neuen Rekord für diese Etappe. Und ja, mit 155 Seemeilen in den vergangenen 24h übertreffen wir das bisher beste Ergebnis um satte 20sm. Wenn Sekt zur Verfügung stünde, könnten wir darauf jetzt anstoßen. Aber es gilt striktes Alkoholverbot während der Zeit auf dem Wasser.

Nun ist wieder Nacht und ich sitze meine Wache ab. Langssam nimmt um uns herum der Verkehr zu und wir müssen deutlich aufmerksamer sein. Und dann nähern wir uns der Abbruchkante, dem europäischen Schild. Der Atlantik steigt von ca. 4000m Wassertiefe auf nur noch 200m an. Und das auch noch auf sehr kurzer Distanz von etwa 5 Seemeilen. Was das für Auswirkungen haben kann, hat uns das Fastnetrace 1979, das wenig weiter nördlich unserer jetzigen Position einen tragischen Verlauf nahm, gezeigt. Damals gab es allerdings einen Trogsturm der mit Orkanstärke blies und das Regattafeld mit voller Wucht getroffen hat. Das spielte sich alles an der genannten Kante ab und führte zu vielen Toten und Verletzten. Eine wirklich traurige Geschichte. Aber jetzt im hier denke ich daran und bin gespannt, ob wir das überhaupt merken, dass sich unter dem Kiel von Petoya Too einiges am Relief verändert. Das führt sogar am Ende dazu, dass das eingebaute Echolot wieder eine Wassertiefe anzeigen wird.

Noch etwa 200sm bis Roscoff. Ich freue mich darauf. Auf festen Boden eine warme Dusche und eine unbewegte Koje.

Am Sonntag Abend sollte es soweit sein. Es bleibt spannend…

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Barbara u. Peter

    Hallo THomas,
    vier Daumen bleiben gaaanz fest gedrückt. Morgen ist ja nicht mehr fern. Und natürlich herrscht auch hier an Land Alkoholverbot bis Ihr anlegen konntet. Aber dann….

  2. Barbara M

    Hallo Thomas,
    der Wind war wohl etwas überengagiert, Euch schnell ans Ziel zu bringen. Die ungemütliche Fahrt wird dafür hoffentlich durch eine umso angenehmere Ankunftszeit wettgemacht und freundliche Helfer, die Euch bei dann ruhigem Wetter die letzten Meter in den Hafen ziehen.
    Handbreit – auch wenn der Hafen tidenunabhängig angelaufen werden kann.
    Barbara

  3. Marianne

    thomas, wir zittern mit Euch. ist ja nicht mehr weit bis Roscoff. sind in De Panne angekommen. Ist aber doch wohl weit bis zu Euch, wenn Ihr endlich dot seid, sonst hätte Markus Euch mit dem Motor helfen können. Aber 750 km? 4 Daumen sind gedrückt. Ganz fest. M.u.J.

  4. Marianne

    An Markus hatte ich gedacht, wenn er irgendwie nach Roscoff kommen könnte.

  5. Hans Dieter Clemens

    Hallo Thomas und Crew, spannend deine Berichte.
    Auf der Karte sehen wir keine 130 sm mehr bis Roscoff. Wer die Bretagne kennt kann sich vorstellen welche Herausforderungen noch auf Euch zukommen. Gezeiten und Strömungen sind dort nicht ohne. Wir fiebern mit Euch. In Roscoff wird es bestimmt einen Schrauber geben der mal nach eurem Volvo Penta schauen kann. In der Zwischenzeit könnt ihr euch ein Algenwellnes gönnen, Roscoff ist dafür bekannt und ich hatte mal das Vergnügen.
    Auch hier ist der Champus kalt gestellt und freuen uns wenn wir den endlich aufmachen können. Zur Zeit nicht möglich da wir keine Hände frei haben wegen Daumen drücken. Du hast eine super Crew und mit deinen Erfahrungen werdet ihr Petoya Too sicher in den Hafen bekommen. Wie auch immer vielen Dank für die Berichte es bleibt spannend. Liebe Grüße aus Brandenburg von Roswitha und Dieter

  6. Karl-Heinz S.

    Hallo Thomas – auch wir in KR fiebern mit und drücken alle verfügbaren Daumen.
    So wie wir Dich kennen, werdet Ihr es schon schaffen in Roscoff festzumachen!!!
    Lilo & KH

  7. Gaby Klasen

    Drücke meinen verfügbaren rechten Daumen und stelle den Prosecco kalt

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